Einfassung des Blicks, 2023

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Einfassung des Blicks
alexander levy (Soloshow)
Berlin, 2023

Unsere räumliche Wahrnehmung beruht auf visuellen Erfahrungen, die immer stärker von der Omnipräsenz digitaler Medien und vermittelter Bilder geprägt werden. Diese Entwicklung beeinflusst unsere Sicht auf die Welt, unsere Empfindung von Körper und Raum sowie unser Verständnis der Realität erheblich. Welche Auswirkungen hat es auf unser Konzept von Gegenwart und unser Gefühl von körperlicher Verortung, wenn immer mehr Bilder auf einer rasterhaft vorgegebenen Konfiguration, einem rechteckigen Rahmen beruhen? 

In der modernen Kunst, schrieb die amerikanische Kunsttheoretikerin Rosalind Krauss in einem wirkmächtigen Essay, diene das Raster nicht nur als Sinnbild, sondern auch als Mythos. „Die mythische Kraft des Rasters“, so Krauss, bestehe darin, „dass es uns meinen lässt, wir hätten es mit Materialismus  (oder manchmal mit Wissenschaft oder Logik) zu tun, während es uns gleichzeitig in den Glauben (bzw. in die Illusion oder die Fiktion) entlässt.“

Es ist diese von Krauss beschriebene gegenläufige Eigenschaft des Rasters, die Sinta Werner in ihren Arbeiten weiterdenkt, bildhaft macht, plastisch werden lässt. Oft mit Glas als Material, greift Werner das modernistische Prinzip des Rasters in ihren aktuellen Arbeiten in vielfältiger Weise auf, durchdringt und durchleuchtet es. Meist ausgehend von Architekturfotografie, eröffnen ihre Objekte, Bilder und Wandarbeiten dabei einen unerwarteten Blick auf städtische Räume und die architektonischen Ordnungssysteme, die wir mit ihnen verbinden.

 

Einfassung des Blicks (Wandarbeit mit farbigem Glas)

Bereits die großformatige Glasinstallation ‚Einfassung des Blicks’ gleich im Hauptausstellungsraum demonstriert glänzend das flexible Zusammenspiel von Struktur und Material. Hier bilden je acht farbige, in die Wand eingefügte Glasscheiben die Grundelemente einer regelmäßigen, aber offenen Rasterstruktur, wie man sie ähnlich von grafischen Layouts oder geometrisch geplanten Städten kennt. Wie bei einem Vexierbild changiert die Wahrnehmung zwischen der Dominanz zweier Muster: durch die Glasscheiben begrenzte, rechteckige Wandflächen und durch die Glasscheiben gebildete Kreuzstrukturen, Anschnittsmarken ähnlich. Je nach Blickwinkel – ob frontal oder von der Seite, ob in der Nahsicht oder mit etwas Abstand – entsteht zudem auch eine alternierende Mischung der beiden für die Glasscheiben verwendeten, als kalt und warm wahrgenommenen Komplementärfarben Blau und Orange.

Simultane Abweichung (Wandobjekt mit Schwimmbadmotiv)

Auch bei ihrer Arbeit „Simultane Abweichung" nutzt Sinta Werner die Spiegeleigenschaft von Glas, erschafft einen bühnenähnlichen Raum der Illusion und führt so bewusst in die Irre. Zu sehen ist die Fotografie eines Hallenbads, bei der die reflektierende Wasseroberfläche eine gekachelte Wand dort suggeriert, wo diese nicht ist. Gleichzeitig erscheint die Wasseroberfläche wie als Glasscheibe, auf der das Raster der Bodenkacheln des Schwimmbeckens zu schweben scheint. Die Grenzen zwischen diesen optischen Eindrücken und einer angeschrägt in die Arbeit integrierten realen Glasplatte verschwimmen in der Wahrnehmung: die Glasplatte scheint selbst zu spiegeln und zeigt doch nur das ihr aufgedruckte gleiche Raster des Schwimmbeckenbodens. Dem Effekt der Wasserspiegelung fügt Werner so eine unerwartete Dimension hinzu, die den Blick herausfordert. Irritierend bei dieser vermeintlichen Widerspiegelung ist, dass der Blick die verschiedenen Raster nicht in Übereinstimmung bringen, nicht justieren kann. Es entsteht eine Unschärfe, bei der sich das Versprechen einer ordnenden Zentralperspektive nur als Wunsch der Sehgewohnheit erweist.

 

Opportunities of Displacement (Wandobjekt mit bedruckten Glasscheiben)

Gleichsam erweitert und gestutzt wird Raum bei „Opportunities of Displacement“, einer Arbeit, bei der Werner ein Rastersystem durch die Überlagerung von auf Glas gedruckten, transparenten Motiven dekonstruiert. Was man sieht, ist die vielgestaltige Abbildung eines einzigen Gebäudes: des Hong Kong Cultural Center mit seiner gerasterten Kachelfassade. Die ursprünglich weißen Kacheln des Gebäudes sind hier nun farblos, die Fugen treten dadurch umso mehr als Raster hervor, wie als technische Zeichnung, in den Dimensionen des Modells einer Theaterkulisse. Labyrinthisch verschieben sich beim Abschreiten der Arbeit innen und außen, entstehen neue, imaginäre Räume.

(aus dem Ausstellungstext von Martin Conrads)